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Tucholsky in Reil 1929

Kurt Tucholsky (* 9. Januar 1890 in Berlin; † 21. Dezember 1935 in Göteborg) war ein deutscher Journalist und Schriftsteller. Er schrieb auch unter den Pseudonymen Kaspar Hauser, Peter Panter, Theobald Tiger und Ignaz Wrobel.Tucholsky zählte zu den bedeutendsten Publizisten der Weimarer Republik. Als politisch engagierter Journalist und zeitweiliger Mitherausgeber der Wochenzeitschrift „Die Weltbühne“ erwies er sich als Gesellschaftskritiker in der Tradition Heinrich Heines. Zugleich war er Satiriker, Kabarettautor, Liedtexter, Romanautor und Lyriker. Er verstand sich selbst als linker Demokrat, Pazifist und Antimilitarist und warnte vor rechten Tendenzen – vor allem in Politik, Militär und Justiz – und vor der Bedrohung durch den Nationalsozialismus.

Kurt Tucholsky hatte 1929 die Mosel besucht. Herrlich beschrieben im Buch Panter, Tiger und Co. Leider wurde einiges aus den Reisemanuskripten Tucholskys nicht in diesem Buch veröffentlicht. Per Zufall kamen wir vor einiger Zeit an ein Originalmanuskript aus Kurt Tucholskys Reisetagebuch. Interessanterweise ist Tucholsky auch in Reil eingekehrt und beschreibt ausführlich diesen Besuch. Da wir Ihnen diesen Text nicht vorenthalten möchten, folgend ein Auszug aus dem bisher bekannten und veröffentlichtem Material und die fehlende Passage über seinen Besuch in Reil. Das Originalmanuskript ist zum Download verfügbar.

Auszug aus Kurt Tucholsky, Panter, Tiger und Co

„…An der Mosel ging es noch an. Wir soffen uns langsam den Fluß hinab, wir fuhren mit dem Saufbähnchen von Trier nach Bullay hinunter, und auf jeder dritten Station stiegen wir aus und sahen nach, wie es mit dem Weine wäre. Es war.

Wenn wir das festgestellt hatten, stiegen wir wieder ein: der Zug führte einen Waggon mit, der sah innen aus wie ein Salonwagen, von hier aus hätte man ganz bequem Krieg führen können, so mit einem Telefon auf dem Tisch, mit dicken Zigarren und: »Seiner Majestät ist soeben der Sturmangriff gemeldet worden.« Wir führten aber keinen Krieg, sondern drückten auf die Kellnerin, und dann erschien ein Klingelknopf, oder umgekehrt, und dann konnte man auf dem langen Tisch einen naturreinen Mosel trinken und dabei Würfel spielen. …

…Wir nahmen dies zur Kenntnis und stiegen in den Mosel – erst in den offenen, dann in einen jungen, frischen, dann in einen alten, goldgelben, der sehr schwer war. Es ging schnell mit uns; Mosel ist kein so bedächtiger Wein wie der Rheinwein oder der Steinwein … es ging sehr schnell. Wir hatten auch schon am frühen Nachmittag gemoselt – wir tranken unmittelbar in den Dämmerschoppen hinüber, vielleicht war es das. Karlchen und Jakopp saßen
da und tranken, was sie konnten – und sie konnten!…

… Bernkastel, Traben-Trarbach, Reil.

Die Lokomotive wurde angehalten und mußte Wasser fassen. Wir stiegen aus und vertraten uns die Füße. Auf der anderen Moselseite erstreckte sich ein weiterer Moselort in der Nachmittagssonne. Der Wind trug Klänge von Zupfinstrumenten zu uns herüber. Der Ort hieß Reil, beschied uns der Zugschaffner. Man feierte dort das alljährliche Weinfest. Kurze Blicke untereinender – unsere Absicht war klar.

Karlchen winkte dem Fährmann, der sich irgendwann von der Betrachtung der Trachtengruppe lösen konnte. Wir setzten über. Wie es wohl bei Hochwasser sei, fragten wir den Schiffsführer. Er winkte ab. Zimmer gäbe es keine, wurde uns genannt. Uns lockte auch mehr die Aussicht auf Flaschen Weines.

Der Ortsvorsteher – so nannte man hier den Bürgermeister – hieß uns im Festzelt willkommen. Karlchen orderte sogleich mehrere Bouteillen. Zum Probieren, sagte er. Wenig später setzte die Musikkapelle ein. Später kauften wir Tanzkarten und schwangen die Weiber auf dem Boden hin und her. Das Weinprobieren stellte sich zunehmend als eine äußerst angenehme Tätigkeit dar.

Zu fortgeschrittener Zeit wurden die Honoratioren unruhig. Die Frau des Ortsvorstehers war unauffindbar. Karlchen auch. Jakopp und ich übten uns weiter fleißig im Probieren und Tanzen. Irgendwann fielen wir in die Kapelle. Die übrigen Tanzkarten wurden uns abgenommen.

Am nächsten Morgen wachten wir in den Moselauen auf. Alsbald näherte sich uns ein Trupp von Männern. Sie wirkten recht entschlossen. Er sei Feldschütz, sagte der Anführer. Wir sollten auch bald den Ort verlassen, man erlasse uns auch den Fährlohn. Der Sonntagszug sei im Anmarsch. Man eskortierte uns zur Fähre, wir setzten über.

Bullay … dann aber setzten wir uns in einen seriösen Zug und fuhren nach Kolbenz. (Diese Aussprache wurde adoptiert, falls Jakopp ein künstliches Gebiß hätte: es spricht sich leichter aus.) In Kolbenz tranken wir der Geographie halber einen Rheinwein, und der konnte Papa und Mama sagen, wir aber nicht mehr…“

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Das Original Manuscript. Zum Vergrößern bitte anklicken.